Sexarbeit

als Seuchenschleuder?

- Ein alter Mythos neu belebt

 

Dieser Text entstand als Vortrag zum 66. STI Kongress, Berlin, Juni 2022

 

Wo fing es an?

 

Mittelalter-Darsteller, LARPer, Reenactment- und Historik Fans bedauern immer  wieder daß die Zeit der Orgien, der rauschenden Feste mit „Wein, Weib und Gesang“ vorbei seien und fragen sich, warum um alles in der Welt mit diesem Treiben aufgehört wurde.

Denn in früheren Zeiten war auch Sexarbeit bei weitem nicht so verrucht und verrufen wie es heutzutage leider immer noch ist.

Es war ein Treiben, was -mit oder ohne Entgelt- fast schon zum guten Ton gehörte.

Badehäuser, Hochzeitsriten, selbst (Nonnen)klöster waren involviert, hieß doch das Zölibat lediglich daß nicht geheiratet werden durfte – von sexueller Enthaltsamkeit war nie die Rede!

Ganz zu Schweigen von den offiziellen Dirnen die seinerzeit in ordentlichen Zünften organisiert waren.

 

Pest und Lepra schienen mittlerweile so gut wie überwunden, die Aussatzhäuser waren weitestgehend leer.

Da kam eine neue Krankheit mit verheerenden Auswirkungen.

Keiner wusste was und woher es kam, also schob man es sich gegenseitig in die Schuhe.

Staaten mit nicht den besten friedensdiplomatischen Beziehungen oder auch Menschen mit verschiedenen Religions zügehörigkeiten schoben sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe – es muss ja vom Feind kommen. Manche behaupteten diese Krankheit käme aus der „Neuen Welt“, Amerika, die Chinesen waren überzeugt es wäre eine portugiesische Krankheit.

So waren denn auch die verschiedenen Bezeichnungen:

Französische Pocken, Mal du Naples...

 

 

Seit 1500 waren die Ansteckungswege bekannt, 1527 prägte der Arzt J. De Béthen den Begriff Morbus Veneris.

Und jetzt hatte man auch endlich jemand schuldigen gefunden, es mussten ja in Sachen Sexualität versierte Menschen sein – die Dirnen, wie man damals zu sagen pflegte.

 

Tausende waren innerhalb kürzester Zeit verstorben, Zehntausende siechten dauerhaft dahin.

Fakt ist das sich die Krankheit rasend schnell in Europa ausbreitete und auch recht schnell war bekannt wodurch man sich anstecken konnte.

 

Badehäuser und Bordelle wurden vielerorts geschlossen, „schuldig“ war die Prostituierte die ja maßgeblich zur Verbreitung beitrug.

„Die Syphilis wurde instrumentalisiert um Sexarbeiter*innen zu diskriminieren.“ (Schroeter, S. 83)

 

Gerade auch ein Martin Luther feuerte diese Art der Misogynie mit religiösem Enthusiasmus an – Huren waren vom Teufel geschickt und galten ohnehin als Feinde des Glaubens.

Auch an der Wortwahl sehen wir eine moralische Veränderung, denn im Gegensatz zum bis dahin üblichen Gebrauch des Wortes der „Dirne“, die im eigentlichen Sinne die Sexarbeiterin meint, wird jetzt das Wort „Hure“ verwendet, was im allgemeinen die Ehebrecherin meint, egal ob sie nun Geld für ihren Liebesdienst nimmt oder nicht.

Wir sprechen hier übrigens bis in unsere Neuzeit ausschließlich von weiblichen Sexarbeiterinnen, vor allem männliche Homosexualität oder gar Sexarbeit war/ist bis in unsere heutige Zeit ein immenses Tabu Thema und wurde/wird immer noch geächtet.

 

Die Schließung der Frauenhäuser ab dem 16. Jahrhundert (wie zu jener Zeit Bordelle genannt wurden) trieb die Frauen in die Unsicherheit der Illegalität und vor allem vor die Tore der Stadt wo sie quasi in einem rechtsfreien Raum auf sich allein gestellt waren. Es war dies die Geburtsstunde der Sperrgebiete.

Luther forderte für sie, wie auch für Juden und andere „Feinde der Christenheit“ die Todesstrafe. Meist wurden jedoch Maßnahmen wie Pranger, Scheren des Haupthaares und andere erniedrigende Maßnahmen an unliebsamen Frauen und anderen Minderheiten vollstreckt. Auch die sog. Hexenverfolgung nahm zu dieser Zeit erst richtig Fahrt auf.

Auch jenen wurde oft sexuelle Umtriebigkeit vorgeworfen:

ob es nun die zeremonielle Vereinigung mit dem Leibhaftigen „Teufel“ war (zu dessen Treffen man unzüchtig auf dem Besen ritt), oder ob es die Körbe voller Penisse waren (immer schön mit Hafer füttern!) die sich diese Frauen als Haustiere gehalten haben sollen – es gab immer irgendwelche „Gründe“ Menschen der Hexerei zu bezichtigen.

Das medizinische Wissen war jetzt in die Hände der Alchimisten und Quacksalber übergegangen (von Quecksilber, was gegen alles mögliche nun verwendet wurde). Diese Quecksilber „Therapien“ hielten sich hartnäckig bis ins vorletzte Jahrhundert. Oft waren es auch Geistliche die dieser -äh- Forschung in Klöstern und Burgen nachgingen.

Das alte Naturkundliche Wissen wurde Hexerei genannt.

Es sollte no0ch sehr lange dauern bis zu Heilungen von Syphilis.

 

 

Trotz vieler Bordellschließungen in Europa ließ sich Sexarbeit natürlich nicht unterbinden. Die Katholische Kirche, die der „modernen“ lutherianischen ja  in nichts nachstehen wollte, erklärte ausgerechnet am Feiertag der Maria Magdalena 22.7. im Jahr 1566 die Prostitution für abgeschafft, doch das römische Bürgertum war resolut. Zusammen mit ihren Liebhabern, Dienstpersonal und Verwandten machten die 5 – 6.000 aktiven Prostituierten ordentlich Aufruhr so daß der Papst wieder zurück rudern musste.

Aber eine behördliche Regulierung des Gewerbes existierte nun nicht mehr.

 

 

Übertragungswege:

Die Syphilis wurde natürlich nur bei (unehrbaren) Frauen durch „sündiges Verhalten“ weitergegeben, bei ehrbaren Männern, Geistlichen oder weltlichen Machthabern gab es andere Gründe für die Krankheit wie z.B. ungünstige Sternenkonstellationen, schlechte Luft o.ä.

Daß sich auch schon im Kindsbett angesteckt werden konnte wurde auch geflissentlich vernachlässigt bzw ignoriert.

 

Die Luft wurde dünn, generell für Frauen gleich welchen Standes auch.

Was uns oft als „finsteres Mittelalter“ verkauft wird findet eigentlich erst jetzt statt. Der Feudalismus trieb sich auf die Spitze, die Schere reich und arm klaffte immer weiter und forensische Untersuchungen bestätigen eine schlechtere Versorgung der Allgemeinbevölkerung.

 

 

Doch die Bordelle kommen wieder, der Plan Frauen komplett aus der öffentlichen Gesellschaft auszuschließen musste misslingen.

Seit 1660 gibt es endlich Schauspielerinnen und Sängerinnen an den Theatern – lange Zeit ein absolut moralisches Tabu.

Mit ihnen gab es wieder offene Schwärmerei für Frauen, die Konkubinen atmeten auf und die in dunklen Verstecken heimlich agierenden Dirnen traten langsam wieder ans Licht, es gab auch wieder offizielle Bordelle.

Und mit ihnen nun etliche Versuche der Regulierung dieses Gewerbes, was in erster Linie aber auf eine Regulierung der Prostituierten beruhte.

 

Die 1650 erfundene Schutzhülle des Arztes Kondon am englischen Hofe setzte sich nicht recht durch. Lieber peitschte man weiterhin Dirnen, die an der Syphilis litten (öffentlich) aus.

 

Doch es gab auch andere Ideen: so z.B. das Berliner Bordellregiment von 1700: „§5 Die Gesundheit der Schwärmer sowohl als auch der Mädchen selbst zu erhalten, muß in jedem Viertel alle 14 Tage ein dazu bestellter Chiurgus forensis alle Mädchen dieser Art in seinem Viertel visitieren.....§9 Ist das Mädchen schon soweit infiziert, daß sie durch bloße Reinigung und Enthaltsamkeit (!) nicht kuriert werden, schickt sie der Chiurgus in das Hospital der Charite, wo sie auf dem Pavillon unentgeltlich verpflegt wird.“ (Weyl, S.45)

 

 

Ab 1750 dann (Rom & Neapel zuerst) mit Listen für Sexarbeiterinnen mit sanitärer Überwachung

 

Was so recht nett klingt hat aber auch seine Schattenseiten, eine wie auch immer „auffälliger Lebensweise“ reicht aus um polizeiärztliche Untersuchungen zu erzwingen, z.B. Dänemark, ausgehendes 19. Jhd.

Übergriffigkeiten der Polizei wurde hier Tür und Tor geöffnet und es stellt sich die Frage: wann ist eine Hure eine Hure? (frei nach H. Grönemeier) denn die Zahl der sog. Gelegenheitsprostituierten war schon immer recht hoch und, in der Natur der Sache liegend, sehr schwammig und kaum fassbar.

 

Der Usus des Einschreibens als Prostituierte sollte im eigentlichen Sinne mal der besseren Kontrolle und Handhabbarkeit der venerischen Krankheiten dienen, de facto ist aber lediglich eine Stigmatisierung und Viktimisierung der Sexarbeitenden daraus gemacht worden. Auch wurde hier der Sexualpartner, der ja zu 50% an der ganzen Sache beteiligt ist, außen vor gelassen.

Es folgt ein ewiges on – off Treiben von erlaubter/regulierter Prostitution und wieder Bordellverboten. Doch letztere wurden natürlich immer wieder illegalerweise umgangen und hielten darum auch nie lange vor.

 

St. Pauli führte 1867 die sog. Freizügigkeit ein, 1927 werden die daraus resultierenden positiven Veränderungen für die Sexarbeiterinnen in einer wissenschaftlichen Studie von Alfred Urban vermerkt.

 

Um die vorletzte Jahrhundertwende wurde sich eingehender mit der Materie beschäftigt, auch wurden Statistiken zu den Zählungen und Einschreibungen erstellt, die aber Urteile wären, keine Tatsachen, so der nicht sexarbeitsfreundliche Autor im „Handbuch der Hygiene“ von 1900

Je nach politischer Lage wird so pro oder contra Bordelle argumentiert.

Dabei haben Reglementierungen keinen Einfluss auf die Zahl der venerischen Erkrankungen.

Im Gegenteil ist der damit verbundene Beamtenapparat in keinster Weise angemessen oder sachdienlich, so der Autor weiter.

Im Gegenteil: „...sind fast alle legislatorischen Maßnahmen...derart beschaffen, als wären sie in raffiniertester Weise ersonnen, die <venerischen> Krankheiten unter der Bevölkerung zu verbreiten und zu vermehren.“ (Blaschkow, S.100)

Abolitionist*innen waren in der irrigen Annahme, würde man die Reglementierungen weglassen würde es keine Prostitution mehr geben, Finnland hat um die vorletzte Jahrhundertwende sogar generell jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr für eine Weile unter Strafe gestellt.

 

Die Abteilungen der Krankenhäuser für venerische Krankheiten glichen eher Gefängnissen den Hospitälern. Die von den Polizeiärzten zwangseingewiesenen Sexarbeiterinnen sind mit anderen Frauen gemeinsam untergebracht.

 

Der Sexarbeitsfeindliche Autor a. Flexner bemerkt in seinem Werk über die Prostitution in Europa, daß sich polizeiliche Regulierungen negativ auswirken auf das Problem neuer STI Erkrankungen. Er möchte die gewerbsmäßige Unzucht trotzdem bekämpfen wie Tuberkulose, Trunksucht und andere Übel.

Für ihn ist Sexarbeit ein soziales Übel was es zu bekämpfen gilt Keineswegs sieht er dies aber im Ansatz irgendwo gelöst, dabei erstreckten sich seine Untersuchungen europaweit über einen Zeitraum von annähernd 20 Jahren, man sollte also meinen in dieser langen Zeit hätte sich vielleicht irgendetwas etabliert?

 

Aber die Reglementierungen erwiesen sich als ein unwirksames Instrument wenn es darum gehen sollte die STI zu bekämpfen oder einzudämmen.

Die (polizei)gesundheitlichen Untersuchungen finden zum Teil unter übelsten hygienischen Bedingungen statt und trage eher dazu bei venerische Krankheiten zu verbreiten. Bis zu zwei mal wöchentlich mussten die Frauen dieser demütigenden Prozedur über sich ergehen lassen.

So wird z.B. in einer Amtsstube, wo er mal solch einer Zwangsuntersuchung beiwohnen durfte, ein einziger Gummihandschuh bei einer Massenuntersuchung von über 20 Frauen benutzt ohne daß dieser zwischendurch abgewischt, gesäubert oder gar desinfiziert worden wäre!

 

Ohne also auch das passende Gegenstück zu untersuchen und vor allem zu behandeln macht das also wenig Sinn.

 

Die Reglementierungen gingen nach dem Überwachungssystem Prostitution vor, erst muss das „sündige“ gefunden werden und dann das darin befindliche Kranke, dann würde man den Krankheiten schon auf die Schliche kommen. (vgl Blaschko S. 46)

 

Übrigens galten alle Frauen, die außerehelichen Geschlechtsverkehr als „unehrbar“, als Prostituierte, gefallene Mädchen, whatever, egal ob sie nun Geld dafür bekamen oder nicht. Teilweise wird gesagt daß sexuelle Lust als Bezahlung gedient habe (sic!)

 

Nichtdestotrotz kam 1899 die internationale Konferenz zur Bekämpfung der Syphilis zu dem Ergebnis das Prostituierte die Hauptschuldigen im Sinne der Ansteckungen seien. Komischerweise wurden aber Männern  die tollen „Tricks“ mit den Kondomen und Desinfektionsmitteln näher gebracht, Frauen wurden lediglich zur „Enthaltsamkeit“ angehalten. Und das konnte natürlich so nicht funktionieren.

 

Eine umfassende Gesundheitsprophylaxe und -überwachung kann nur bei einer kompletten Legalisierung (eingeschlossen die „einfache Kuppelei“, also Anbahnung und Vermietung von Räumlichkeiten) der Prostitution stattfinden, so folgert das Handbuch der Hygiene von 1900.

 

1911 gab es dann eine Hygieneausstellung in Dresden auf der dann auch das Thema Kondome heiß diskutiert wurde: Dienen sie dem Schutz oder sind sie ein Vehicle zum Verfall der Sitten?

 

Man stellte vorehelichen Geschlechtsverkehr ab 1912 unter Strafe, Bordelle schien es aber schon noch zu geben denn schließlich gab es dort gab es noch Kondome zu erwerben.

 

Die Versuche die Soldaten während des ersten Weltkrieges vor STIs zu schützen waren, trotz überwachter Lagerprostitution, recht erfolglos weil sie sich meistens während der Urlaube zu Hause ansteckten.

 

 

1927 kam in Deutschland ein neues Gesetz heraus:

Prostitution war nun endlich straffrei!

Geschlechtskrankheiten wurden nicht mehr länger als Strafe gesehen für unsittliches Verhalten.

Es gab keine unwirksamen Reglementierungen mehr aber Fälle von STIs wurden nun gemeldet

 

Auch von Ärzten in den Hospitälern wurde die Ansteckungsursache und -ort befragt und einer Sanitätskommission gemeldet. Doch die Zahlen sind sehr wankelmütig, geben bei offiziellen Kliniken die meisten Männer an sich bei „öffentlichen Prostituierten“ abgesteckt zu haben, so berichten private Ärzte, wo ein entsprechend besseres Vertrauensverhältnis besteht, eher von Ansteckungen über Maitressen, Theaterdamen, Arbeiterinnen und anderen eher privaten Liaisonen.

 

 

Deutschland war recht spät dran mit der unentgeltlichen Behandlung von STI in Krankenhäusern im vergleichbaren europäischen Durchschnitt. Es brauchte eine Weile auch der Rechenarbeit mit den Krankenkassen bis klar war, daß auch ausgiebige Behandlungsmöglichkeiten im Endeffekt das Allgemeinwohl günstiger kommen als lebenslanges Siechtum.

 

Die Erkrankungsziffer unter den Sexarbeitenden ist übrigens genauso hoch wie die der Gesamtbevölkerung

(Handbuch der Hygiene 1900)

Andere Quellen sprechen von einer nicht-Zählbarkeit der an STI erkrankten Prostituierten (Urban 1925)

 

Abhilfe schafften dann letztendlich die modernen und z.T kostenlosen Polykliniken und Penicilin.

 

 

AIDS auch hier wieder die Moralapostel mit erhobenem Zeigefinger „selbst schuld“. Statt rationaler Erklärungen und Lösungsmöglichkeiten auch da wieder nationalistische und rassistische Hassgefühle. (vgl. Adam S. 209)

 

Die Verteilung von Kondomen Anfang der 1980er in Schwulen-Bars wurde von einigen besorgten Bürgern als Aufforderung für „perverse Praktiken“ gesehen. Die Hurenkonferenz 1983 stand übrigens ganz in dem Zeichen der AIDS Prävention, das Kondom hielt Einzug in die Sexarbeit.

 

Schon im Vorjahr hat das Labor, welches die vom ÖGD in NRW aufgenommenen Proben folgende Zahlen rausgebracht:

Gesamtstichprobe Frauen 12.493

davon 49,1% HIV Positiv, von denen aber noch nicht mal ein Viertel in der Sexarbeit tätig.

Bei den Männern ist die Zahl der infizierten verschwindend gering – wurden sie einfach nicht getestet?

Generell sind Sexarbeiterinnen häufiger von STIs betroffen als andere Frauen – die Umkehrung bei den Zahlen zu HIV sind markant.

Prävention und Risikoverhalten werden in der Studie als mögliche Gründe genannt.

 

 

Zum Vergleich: Zahlen des RKI von 2011 sagen folgendes:

(beteiligt waren 29 Gesundheitsämter aus 12 Bundesländern).

1.425 an der Studie beteiligten Sexarbeiterinnen zwischen 25 und 40 Jahre alt. 73% hatten einen Migrationshintergrund (davon 61% aus Bulgarien, Rumänien, Polen und Ungarn) und 56% hatten keine Krankenversicherung in Deutschland.

Die Positiv-Raten der erhobenen STI entsprechen dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

 

 

CORONA:

Da gibt es schon einen extra Beitrag auf meiner WebSite (PPS vom Februar 2021 zum STI Kongress), hier das wichtigste:

Wir wollten auch weiterarbeiten wie alle anderen!

Entgegen besseren Wissens wurden wir von Herrn Lauterbach als „Seuchenschleudern“ betitelt, was im Angesicht dezidierter 1:1 Kontakte geradezu absurd erscheint! Jeder Baptistenchor oder Wanderverein mit anschließender gemeinsamer Einkehr in der Hütten lebt da wesentlich gefährlicher, wie ja auch die Schlagzeilen im Frühjahr 2020 gezeigt haben.

 

Ab Mitte Mai durften körpernahe Dienstleistungen wie z.B. Ostheopathie, Massagen weiterarbeiten, die Sexarbeit nicht!

Auch durften wir nicht behelfsweise Massagen anbieten.

 

Als dann im Juni auch die sog. „Kontaktsportarten“ wie Ringen oder Boxen wieder aufgenommen wurden war klar: es geht hier wieder mal um das alte Vorurteil der Hure als Seuchenschleuder.

Dabei hatten wir schon im Frühling 2020 in Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern ein passgenaues Hygienekonzept für die Sexarbeit entwickelt:

https://berufsverband-sexarbeit.de/wp-content/uploads/2020/05/200519_BesD-Hygienekonzept-1.pdf

 

Eines unserer Schlagworte war ja auch:

„Wir sind Hygieneprofis“ neben #RotlichtAN

 

Teilweise wurden wir willentlich komplett hängen gelassen z.B. in Hessen gab es bis ins Jahr 2022 gar keine Lockerungen der Maßnahmen – zeitgleich aber ließ man die illegale Prostitution in die den Bordellen benachbarten Hotels im Frankfurter Rotlichtviertel ohne jegliches behördliches Einschränken gewähren!

 

Hilfen gab es für die marginalisierten Kolleg:innen keine, denn nicht jede:r wird von unserem System aufgefangen. Der #BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) hat mit Spendengeldern annähernd eine viertel Million Euro zusammengetragen (um genau zu sein 248.732 €) und über die im BUFAS (Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter) Verband an die in Not befindlichen Kolleg:innen ausgeschüttet.

Die jetzt wieder so laut nach „Rettung“ und „nordischem Modell“ lärmenden Prostitutionsgegner*innen waren, bis auf ein paar zynische Bemerkungen, auffällig still zu dieser schwierigen Zeit.

Im Gegenteil benutzten sie in einigen Fällen von Staats wegen gesponserte Gelder lediglich dafür sich für ihr „Sexkaufverbot“ einzusetzen.

Und exakt das ist auch die „Hilfe“ die diese Menschen anzubieten haben – moralische Verwerfungen.

 

Und noch etwas ist in dieser Zeit (mal wieder) aufgefallen:

Prostitution lässt sich nicht verbieten, sie verschiebt sich in ein Dunkelfeld.

Sie macht Menschen erpressbar und abhängig, auch wurde vermehrt Sex ohne Kondom gefordert. Motto: wenn du es schon ohne Maske machst, dann kannst du es auch ohne Kondom machen.

Diskriminierung und Ausgrenzung behinderten gesundheitsbewusstes Verhalten, das ist ein ganz alter Hut!

Auch von der so gefährlichen Vereinzelung der Sexarbeitenden wird berichtet; die Sitten, der Umgangston sei verroht, Hygienemaßnahmen müssen wieder (neu) erlernt und erkämpft werden, so berichten Kolleg:innen und auch Beratungsstellen gleichermaßen.

Das Rad wird jetzt gerade wieder zurück gedreht, denn Hans-Werner, Ali und Andreas gehen letztendlich doch lieber in ein ordentlich geführtes Haus. Auch die Bereiche des Coachings, der Sexualbegleitung, den besonderen Formen von queerer oder weiblicher Kundschaft können wieder in einem entspannten, und damit in einem sicheren Rahmen stattfinden.

 

 

 

 

 

Literatur:

 

Adam, Birgit: „Die Strafe der Venus – eine Kulturgeschichte der Geschlechtskrankheiten“, München 2001

 

Flexner, Abraham: „Die Prostitution in Europa“, Berlin 1922, erstellt in mehreren Jahren Forschung vor 1915

 

HWG e.V. (Hrsg.) Red.: Christine Drössler und Jasmin Kratz: „Prostitution – ein Handbuch“, Marburg 1994

 

Lohan, Mechthild Charlotte Luise: „Historischer Abriss der Syphilis im Kontext mit ihrer soziokulturellen Bedeutung für die Gesellschaft im deutschsprachigem Raum“, zur Erlangung des akademischen Grades Doktor(in) der gesamten Heilkunde (Dr.med.univ.) an der Medizinischen Universität Graz, 2016

 

Lucht, Andreas: HIV- und Syphilis-Daten von Sexarbeiterinnen in NRW Dr. Andreas Lucht, M.Sc. FA für Laboratoriumsmedizin FA für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Labor Krone, Bad Salzuflen Konsiliarlabor für Treponemeninfektionen Arbeitskreis „Sexuelle Gesundheit in NRW“. Münster, 16.04.2013

 

Ringdahl; Nils Johann: „Die neue Weltgeschichte der Prostitution“, München 2006

 

Schröter, Thomas: „Das Unmoralische Andere – Eine kleine Geschichte der Prostitution und Auswege aus einer festgefahrenen Debatte“, Stuttgart 2019

 

Urban, Alfred: „Staat und Prostitution in Hamburg – vom Beginn der Reglementierung bis zur Aufhebung der Kasernierung (1807 – 1922)“, Hamburg 1925

 

Weyl, Theodor (Hrsg.): „Handbuch der Hygiene Teil.: Hygiene der Prostitution“

von Dr. A. Blaschko, Jena 1900

 

 

Internetquellen (Stand 16.6.2022)

 

https://www.berufsverband-sexarbeit.de

 

http://madamekali.de/html/blog.html

verschiedene Aufsätze

 

Studie RKI 2011

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/S/STI/Studien/STI-Outreach/STI-Outreach_inhalt.html