Sexarbeit – ein Job wie jeder andere?

 

Um es ganz klar vorweg zu nehmen – Nein!

Beim Korrekturlesen meines Interviews im Herbst 2019 im Stern (siehe auch dazu der Blog Beitrag hier) habe ich diesen Schnitzer im Schlusswort leider übersehen, was mich zu diesem Text inspiriert hat.

 

Sexarbeit ist nicht gleich Sexarbeit sondern ein immens vielschichtiges Phänomen.

Sexarbeit heißt Puff, heißt Straßenstrich, heißt exclusive Dates, heißt „Perversion“, heißt tantrische Selbsterfahrung, heißt Sexualbegleitung für gehandycapte oder eingeschränkte Leute, heißt letztendlich einen wie auch immer gearteten sexuellen Raum zu gestalten.

Anhand dieser Vielfalt lässt sich schon erkennen daß eine differenzierte Betrachtung der sozialen Situation der Sexarbeitenden angebracht ist statt eine Projektionsfläche für politisch moralische Positionen über den Köpfen und Bedürfnissen anderer Menschen hinweg zu postulieren.

 

Die breite Masse der Prostituierten möchte einfach nur arbeiten. Das ist weder das gut situierte Luxus-Callgirl oder hochpreisige Domina, das ist aber auch nicht die von Menschenhandel gebeutelte Zwangsprostituierte.

Die meisten von uns arbeiten im Verborgenen, zu groß die Angst vor dem Stigma „Hure“ immer noch. Man will seine Kinder schützen, möchte nicht daß es andere Familienmitglieder mitbekommen, ist noch in der Ausbildung und möchte vielleicht später in den Staatsdienst, kommt aus einem Land in dem die Sexarbeit noch mehr stigmatisiert ist als bei uns, ggfs. sogar verboten o.ä. Mit ein Grund warum sich viele von uns auch nicht nach dem neuen ProstitutionsSchutzGesetz, welches seit dem Jahr 2017 Gültigkeit besitzt, angemeldet haben. In diesem Dunkelfeld zu arbeiten bedeutet aber auch jetzt nicht mehr in einem vernünftigen, weil offiziell angemeldeten Etablissement arbeiten zu können und somit auch den Schutz desselben nicht mehr genießen zu können.

 

Mittlerweile haben wir unter den Sexarbeitenden einen migrantischen Anteil von 80%, in den meisten Fällen sind es Frauen aus Rumänien oder Bulgarien. Oft wissen deren Familien nicht was sie hier in Deutschland arbeiten und dürfen es auch nicht erfahren. Es zeugt von immenser Courage was diese Menschen auf sich nehmen um hier arbeiten zu können. Da es oft schon an Sprachkenntnissen mangelt, ganz zu schweigen von dem KnowHow sich vernünftige Locations zu suchen als Ortsfremde ist es sehr dem Zufall überlassen was halbwegs passables zu finden.

 

Zum Glück gibt es vielerorts Beratungsstellen mit niederschwelligen Angeboten sowie aufsuchende Sozialarbeit die diese Menschen ein wenig auffangen können, leider wird diese Arbeit nicht angemessen gefördert und unterstützt. Auch die seit 2017 stattfindende Zwangsberatung bei der Anmeldung auf dem Ordnugs- bzw. Gesundheitsamt nach dem neuen ProstitutionsSchutzGesetz erreicht das Klientel nicht angemessen. Im Gegenteil berichten Gesundheitsämter über einen Rückgang der freiwilligen STI und AIDS Beratungen.

 

Sexarbeit ist kein Job den man übergestülpt bekommen kann wie z.B. Einzelhandel oder Fabrikarbeit die man macht, da einem das Arbeitsamt sonst auf die Pelle rückt.

Sexarbeit ist, wie andere Jobs die sich intensiv mit der Körperlichkeit von anderen Menschen auseinandersetzen, eine sehr individuelle Entscheidung und gewiss nicht für jeden geeignet. Dies zeigen auch die vielen Entscheidungen dann doch gegen den Job nach entsprechenden Gesprächen in Beratungsstellen für Prostituierte.

Kein Mensch wird z.B. Physiotherapeutin oder Ärztin ohne einen Hang zu fremden, menschlichen Körpern zu haben!

„Beratungsstellen sehen sich steigenden Nachfragen zur Sexarbeit als Beruf, aber auch zur beruflichen Umorientierung bis hin zum Ausstieg aus der Sexarbeit gegenüber.“ Deutsche AIDS Hilfe auf ihrer WebSite im Januar 2020

 

Interessanterweise sind viele Aussteiger*innen aus der Sexarbeit im Gesundheitswesen zu finden, andersherum aber auch. Ich kenne etliche Prostituierte die lieber in der Sexarbeit tätig sind als in ihren alten Jobs im Gesundheitswesen.

 

Letztendlich ist es also eine Entscheidung für einen Job mit verdammt viel körperlicher Nähe und Intimität. Das ist nicht für jeden was! Und es gibt etliche Frauen die in der Branche tätig sind für die es besser wäre einen anderen Job zu machen.

Nichtsdestotrotz hat sich auch in Rumänien und Bulgarien mittlerweile herumgesprochen daß es eben nicht irgendwelche gut bezahlten Jobs als Tänzerin, Kellnerin.. sind die sie hier im „goldenen Deutschland“ erwarten sondern daß es ganz klar um Sexarbeit geht, im Zweifelsfall im ostwestfälischen Nieselregen an der Bundesstraße.

Trotzdem kommen sie hierher!

Weil sie es als EU-Bürgerinnen können und dürfen.

Und weil sie hier trotzdem mehr verdienen als auf dem platten Land im Balkan.

 

Und exakt das ist der Grund warum wir diese Arbeit machen.

 

Vergessen werden sollten nicht illegal Eingereiste, oder im schlimmsten Fall eingeschleuste Sexarbeiter*innen, die aufgrund ihres illegalen Status den Schleppern und Bauernfängern ausgeliefert sind, ja z.T. erpressbar gemacht werden. Eine üble Praktik die sich ebenso in den Pflegeberufen, auf Baustellen, in der Reinigungsbranche etc. wiederfindet. Gegen diese Machenschaften, die zum Glück nicht den Alltag darstellen kann und muss durchgegriffen werden, denn die Gesetze dafür sind ja längst da!

 

Die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit ist wichtig und notwendig als Teilhabe am sozialen Leben. Den Anfang machte der Wegfall des Sittenwidrigkeits-Paragrafen aus den Gesetzesbüchern der BRD im Jahr 2002, was zur Folge hatte daß wir uns von nun an ganz normal an Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung beteiligen können. Dies sind Grundvoraussetzungen für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, ein Schutz in einer legalen Subkultur. (Steuern zahlen durften wir übrigens schon die ganzen Jahrzehnte in der BRD vorher...)

Seit 2002 sind die Fälle von Ausbeutung von Prostituierten sowie Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gemäß § 232 StGB stetig zurück gegangen, in den letzten 4-5 Jahren haben sie sich sogar halbiert. Ein Erfolgskurs könnte man sagen. Und auch bestimmt mit ein Grund warum auch mehr Leute von Außerhalb hierherkommen um der Sexarbeit nachzugehen. Quelle:

https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKrimin alstatistik/PKS2018/Zeitreihen/zeitreihenFaelle.html?nn=108686

 

Des weiteren hat dieses Ankommen in der legalen Ebene der Gesellschaft auch dazu geführt daß etwaige Widrigkeiten entsprechend zur Anzeige bringen kann. Sei dies nun in Form von Mahnungen nicht zahlungswilliger Kunden (Dienstleister können das zur Not auch gerichtlich einklagen, siehe der Präzedenzfall von Stefanie Klee) oder Anzeigen wegen Nötigung, Vergewaltigung, Hausfriedensbruch, Erpressung...

In einem rechtsfreien Raum wird das schwierig bis gar unmöglich, auch unter dem sog. Schwedischen Modell ist das sehr abwegig auch wenn jenes die Straffreiheit von Prostituierten angeblich postuliert. Von Schutz ist dort leider nichts zu lesen.

Auch gibt es in Schweden keine Möglichkeit mehr in einem geschützten Haus, Studio, Bordell oder Club zu arbeiten denn all dies ist nun illegal.

Wer dazu mehr Informationen möchte, es gibt HIER im Blog einen Artikel zu dieser Mogelpackung.

 

Zurück zur Sexarbeit:

Warum wird (jungen) Frauen ständig abgesprochen daß sie freiwillig in der Sexarbeit tätig sind? Und warum urteilst du? Wie viele kennst du denn und hast mit ihnen schon gesprochen?

 

Ins Feld geführt wir dann oft das Kapital, daß ja ein Machtinstrument sei und deswegen dürfte ich mich ja aus moralischen Gründen nicht dessen bedienen. Der Mann habe ja kein Recht darauf „nur“ weil er über Kapital verfügt auch über Frauen zu verfügen (was soll dieser hegemoniale Blick?!) aber Nein, in der Tat, das darf er nicht!

Deswegen ja auch Sex-ARBEIT, denn der Begriff Arbeit impliziert ja auch ein ganz klar vorher abgestecktes Feld von Dienstleistung, körperlicher Verfügbarkeit sowie Zeit.

Grenzen zu setzen, sich zu verorten und artikulieren ist ein Lernprozess der uns alle angeht und in unserer Gesellschaft generell zu kurz kommt. In Bezug auf die Sexarbeit kann ich da wieder an die Beratungsstellen verweisen (Hydra in Berlin, Theodora in Ostwestfalen, Madonna in Bochum etc. die ganzen AIDS-Hilfe Beratungsstellen, zahlreiche Frauenberatungsstellen verschiedenster Träger von der Diakonie über die AWO bis hin zu Organisationen gegen Menschenhandel, Veranstaltungen von unseren Berufsverband BesD...)

Ich selber habe mal auf einem unserer „Hurenkongresse“ des BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) ein sehr informatives Bar-Camp mit zwei ganz „normal“ arbeitenden Sexworkerinnen gehabt zum Thema Professionalisierung und Abgrenzung wo ich so bei mir dachte: schau, da kannst du dir sogar als Domina noch ein paar Scheibchen von abschneiden....

 

Aber Geld ist „nur“ die eine Seite der Medaille (ich war jung und brauchte das Geld), die andere Seite ist ja ein entsprechender (sexueller) Lebenswandel. Anderwertig würde ich mich aus privaten Gründen wahrscheinlich immer noch auf exclusiven BDSM Parties statt in Dominastudios herumtummeln, übrigens auch da nicht ohne entsprechendes Tribut für meine Performance einzufordern. Schließlich habe ich das Können und Wissen, die Ausrüstung, gebe meine kostbare Zeit für andere Menschen...

 

Promiskuität und Polyamorie dann auch demnächst Prostitution/Hurerei?

„Hure“ war ursprünglich übrigens der Begriff für die Ehebrecherin, nicht für die „Dirne“ die Geld dafür nahm. Sexuell selbst bestimmende Frauen abzuwerten hat Tradition in unserer Gesellschaft – wo kämen wir da auch hin wenn jede Frau für sich selber ganz alleine bestimmen würde was sie mit ihrem Körper macht? Mit wen sie Sex hat? Oder sogar noch darüber frei entscheidet wann sie schwanger werden und bleiben möchte?! Der Mann wäre ausgeschlossen? In der Tat! Denn es ist IHR Körper! #MyBodyMyChoice

 

Ist das Drittel aller verheirateten Frauen, die einzig aus wirtschaftlichen Gründen mit ihren Ehemännern (noch) verheiratet ist wirklich die bessere Idee? (aktuelle Studie aus England, Quelle. N. Wegelin „Madame Moneypenny“, Reinbek bei Hamburg 2018)

 

Geld als Machtinstrument – als Waffe?

Warum soll ich dann darauf verzichten?

Übrigens haben sich viele meiner Kolleg*innen die jetzt gerne als so „etablierte“ Ausnahmeerscheinungen gelten mit Hilfe ihrer Sexarbeit dahin etabliert und sind zum Teil dann auch Inhaber*innen von Etablissements geworden. Man wächst eben mit seinen Aufgaben.

Auch die in den 1950er Jahren bekannt gewordene Luxus-Dame Rosemarie Nittribitt war  eine Frau die es selbst, aus eigenem Antrieb geschafft hat aus prekären Verhältnissen herauszukommen – der Skandal war ja letztlich nicht in Demut und Bescheidenheit dem üblichen Rollenklischee einer Frau zu entsprechen sondern frech und unverfroren für sich selbst zu fordern und einzustehen.

 

Prostitution ist auch eine Alternative zum konventionellen Rollenverständnis, wenn auch nur in der Form der Ware-Geld-Beziehung. „Diese faktische Infragestellung des männlichen Besitzanspruchs ist nicht erwünscht und darf nicht zu gesellschaftlichem Bewusstsein kommen. Deshalb werden Prostituierte diskriminiert, mit dem Verdikt des Unmoralischen, der Würdelosigkeit überzogen.“ (Christiane Tillner in: „Women at work – Sexarbeit, Binnenmarkt und Emanzipation, Marburg 1992)

 

Ausgerechnet zum internationalen Tag zum Gender Pay Gap 2019 titelt die Zeitschrift EMMA „großartig“ irgendwelche Typen die ja noch nie für eine Frau bezahlt haben. Großartig! Da freut man sich ja richtig über Blumen und Pralinen zum Rendezvous!

 

Stehen wir weiter dafür ein daß Empowerment für Frauen und (sexuelle) Emanzipation nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg gemacht werden sondern MIT ihnen.

Eine emanzipatorischer Ansatz ohne Beteiligung der betroffenen Frauen ist keine Emanzipation sondern Fremdbestimmung!

Weisse Cis Frauen der Mittelschicht möchten darüber bestimmen was für Migrant*innen z.T aus armen Verhältnissen das Beste sei?

Ich möchte euch sehen, in der Fabrik oder auf dem Erdbeerfeld im Akkord zu schuften.

Und dann vielleicht mal darüber nachdenken warum sich die Polin lieber den ganzen langen Tag im Strapshalter auf der Chaiselongue  herum räkelt und auf Freier wartet.

Man munkelt daß es eine Menge Frauen gibt die lieber das zum Broterwerb machen.

 

Bis dahin können ja die Promiskuitiven ihren Neigungen einfach weiter frönen.

 

 

Es gibt viele Gründe warum ein Mensch Sex hat – Geld ist einer davon.

 

 

Bildnutzung mit freundlicher Genehmigung der Autorin Nadja Hermann „erzählmirnix“